Es war irgendwie komisch auf dem Schiff. Nicht, dass wir seekrank wurden, sondern eher die gesamte Situation.
Wir haben alles in Deutschland zurückgelassen: unsere Freunde, Familie, Autos, Wohnung, Hühner, Möbel, Gegenstände, Erinnerungen … 30 Jahre habe ich dort gelebt, fast mein gesamtes Leben. Jetzt tucker ich mit meiner Familie Kilometer für Kilometer, Tag für Tag weiter weg. In eine neue Heimat, die uns unbekannt ist. Ja, ich habe 23 Tage wie auf heißen Kohlen gesessen, weil ich so neugierig auf Uruguay war. Auch Zweifel haben mich manchmal gepackt und wieder losgelassen:
Was ist, wenn wir dort ankommen und wir fühlen uns unwohl?
Eine Antwort dafür hatten wir bereits in Deutschland. Für uns war sehr schnell klar, dass es keinen Weg zurückgeben wird, nur weiter. Wenn Uruguay sich nicht nach Heimat anfühlt, dann suchen wir weiter. Die Welt ist riesig.
So war es dann etwas eigenartig, da es für uns keinen Weg zurück mehr gab, aber das Ziel noch völlig unbekannt war.
Doch insgesamt war die Kreuzfahrt klasse. Auf der Route konnten wir zwar einige Zielhäfen nicht anfahren, wegen technischer Schwierigkeiten oder zu hohen Wellen, doch es mangelte dennoch nicht an Eindrücken. Einmal mussten wir sogar ungeplant einen Hafen aufgrund eines medizinischen Notfalls ansteuern. Der Hafen war so wunderschön, doch ich hatte keine Ahnung, wo wir waren.
Nicht selten kam die Durchsage: „Mike Echo! Mike Echo!“ Ich tippe mal darauf, es steht für Medical Emergancy. Erneut zur Erinnerung, die meisten Gäste waren im Rentenalter XD.
Die Menschen waren insgesamt sehr entspannt und freundlich, Crew und Passagiere. Unsere Kinder hatten Spaß. Sie fanden immer eine Omi oder einen Opi zum Quatschen und Herumalbern oder einen Mitarbeiter, der die Kinder beim Essen im Restaurant bespaßte. Wir sammelten schon Origami-Tiere, da ein Restaurant-Mitarbeiter den Kids immer welche mitbrachte. Schließlich waren auf unserer Route nur eine Handvoll Kinder anzutreffen. Es störte uns in keiner Weise.
An Seetagen verbrachten wir die Zeit auf dem Spielplatz, am Pool, in der Spielgruppe und sehr häufig im Restaurant. Es gab rund um die Uhr etwas zu essen und zu trinken. Und als wir alle krank geworden sind, nahmen wir uns einfach Essen aufs Zimmer und schauten Kinderdokus im Bett. Daran ließ sich leider nichts ändern. Doch wir haben nicht viel verpasst. Die Reise ging insgesamt 23 Tage, daher fielen die drei oder vier Tage nicht ins Gewicht.
Beeindruckend war immer wieder die Aussicht am offenen Deck. Vor allem die Sonnenuntergänge, egal ob wir am Hafen parkten oder auf dem offenen Meer trieben. Es war unfassbar. Die Natur der Welt ist so wunderschön. Gerade in solchen Momenten habe ich für mich selbst festgestellt, was ich als schön empfinde. Das sind nicht die riesigen, lauten Städte, sondern die Natur, die uns umgibt. Wir haben viele Tiere im Meer und Ozean gesehen: Delfine, Wale, fliegende Fische, Schwertfische, Schildkröten … auf dem Schiff hatte sich auch irgendwo eine Vogelfamilie eingenistet, sodass sogar mitten auf dem Atlantik Vögel um uns kreisten.
Und nicht nur die Tiere, sondern auch das Wetter und das Wasser selbst waren faszinierend. Die Atlantiküberquerung dauerte sechs Tage. Fast eine Woche war um uns herum nur Wasser, und zwar mächtig viel. Wenn das in Bewegung kommt, bist du nicht mehr. Ich kam mir winzig und unbedeutend bei diesen Wassermassen vor. Sehr Respekt einflößend.
An zwei oder drei Tagen war dichter Nebel nicht nur am Himmel, sondern überall. Es war nichts zu sehen, außer unser Schiff. So kam es, dass alle paar Minuten ein lautes Hupen vom Schiff ertönte, damit andere auf dem Ozean uns bemerken, falls sie in der Nähe sind. Das hat mir etwas Angst gemacht. Wie in so einem Horrorfilm, wo ein Schiff auf See verloren ist.
Je näher wir Südamerika kamen, umso wärmer und besser wurde das Wetter. Wir kamen aus dem milden Herbst in den heißen Frühling/ Sommer. (Kurze Info: In Uruguay sind die Jahreszeiten verkehrt herum. Wenn in Deutschland Sommer ist, ist in Uruguay Winter und umgekehrt. Ja, ja, Weihnachten im Sommer 😉 Hat schon was.)
Bereits in Südeuropa war das Wetter herrlich, wie Frühling anstatt Herbst. Die Landausflüge haben wir ganz unkonventionell genossen. Wo viele sich einen Trip oder Exkursion gebucht haben, packten wir unsere Kinder in den Buggy und sind losgedüst. Das war für uns die beste und flexibelste Art, einen Eindruck von den jeweiligen Städten zu erhaschen. Wir sind meist entgegen den touristischen Zielen gegangen, denn nur da bekommst du einen wahren Eindruck. Auch in Rio de Janeiro haben wir das so gemacht. Zu Mittag haben wir in einer Kantine in einem Businessviertel gegessen und sind mal gar nicht aufgefallen XD. Das Lokal war leer, als wir hineinkamen und ein Gast, der Englisch sprechen konnte, half uns bei der Bestellung.
In Brasilien spricht man Portugiesisch und viele können kein Spanisch oder Englisch. Wir haben schnell gelernt, uns mit Händen und Füßen zu verständigen. Wenn die Menschen offen sind, denen man begegnet, klappt jede Kommunikation. Innerhalb von ein paar Minuten war die Kantine voll. Es war Mittagspause! Und zack, saß meine zweijährige Tochter schon bei der Nachbarin auf dem Schoß. Die Frau fand das so niedlich, dass sie ihr direkt Fotos von ihrer eigenen kleinen Tochter auf dem Handy zeigte. Unfassbar, wie familiär die Leute sind.
Ein paar Straßen weiter kamen wir schon den Slums näher. Man konnte es sehr gut an dem Müll und den kaputten Straßen erkennen. So sind wir dann doch Richtung City gegangen, aber immer noch außerhalb der Touristenszene. Wir sind mächtig aufgefallen, insbesondere wegen unseres Buggy-ein großer roter Zweisitzer, den man als Fahrradanhänger umbauen kann. In Deutschland gibt es unzählige davon, doch in Südamerika scheinbar eine Rarität. Die Mamis waren begeistert und winkten unseren Kids bereits von Weitem zu. Bei der unfassbaren Hitze war es die beste Lösung, die Kinder im Buggy sitzenzulassen, um sie vor der Sonne zu schützen. In Brasilien verbrennst du sofort ohne Schatten und Sonnencreme. In der Apotheke kann man dort sogar LSF 90 kaufen.
Oft lächelten und sprachen uns die Leute auf der Straße an. Einmal kam uns ein Mann entgegen und reichte meinem Mann die Hand. Er war so begeistert, einen anderen Europäer zu sehen, dass er seiner Freude direkt Luft machen musste.
Rio fand ich beeindruckend, schaurig, aber auch wunderschön. Mitten in der Stadt ist es so grün. Überall Hochhäuser, Büros, Geschäfte, Menschen und dazwischen tropische Blumen, Palmen, Bäume, Büsche und bunte Vögel.
Kennt ihr den Film mit Will Smith und dem Schäferhund „I am legend“? In diesem Film brach ein Virus aus und viele Menschen wurden zu Zombies oder starben. Die Stadt war tagsüber verlassen und leer. Die Natur hat den Ort wieder zurückerobert, sodass aus allen Ecken wieder Bäume wuchsen und Blumen gediehen. Dieses Bild hatte ich in Rio ständig im Kopf, nur ohne Zombies und Will Smith.
Wir haben viel erlebt auf unserem Weg ins neue Heim, mit dem Resümee, dass wir so eine Kreuzfahrt noch einmal machen werden. Schließlich sind wir kurz vor dem Nikolaustag in Uruguay angekommen.
Mehr dazu im nächsten Artikel.
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