Die meistgestellte Frage, als ich von unserer Auswanderung berichtete war: „Warum wandert ihr aus?“
Das ist eine wichtige Frage, aber auch sehr weitreichend, und vermutlich nicht erklärbar in nur einem Artikel. Es werden bestimmt mehrere, um der Geschichte überhaupt gerecht zu werden.
Hier geht es um Entscheidungen, die ich für mein Leben getroffen habe und wo sich die Auswanderung als notwendiger Schritt ergeben hat.
Aber fangen wir mal vorn an.
Meinen Mann habe ich bereits mit 18 Jahren kennengelernt und wir hatten schon immer gewisse Vorstellungen, wie wir unser Leben verbringen möchten. Mit den Jahren haben sich die Bilder hin und her gewandelt und verschoben. Als unser Sohn dann 2019 geboren wurde, festigten sich die zuerst malerischen Gebilde zu festeren Strukturen.
Ich habe mich in meinem Leben vielfach erstickt gefühlt. Das Gefühl von Anspannung und Unruhe hat mich tagtäglich begleitet. Nie habe ich mich frei gefühlt. Immer in Ketten und unter Kontrolle. Wann habe ich schon etwas gewagt und bin Risiken eingegangen? Ich habe brav die Schule abgeschlossen, eine vernünftige Ausbildung absolviert und jahrelang in demselben Beruf gearbeitet.
Mein Leben hat mich mit den Jahren krank gemacht und ich habe es nicht gemerkt, wie es mich im Innersten zerfressen hat. Schlafen konnte ich schon lange nicht mehr richtig. Weil das aber schon so normal war, ist mir das erst aufgefallen, als mein Mann es mal in einem Nebensatz erwähnte. Was ist denn daran normal?
Wisst ihr, wann ich meinen ersten Hörsturz hatte?
Mit 12 Jahren. Das muss man erst mal sacken lassen. Und so ging es mit den Jahren auch immer weiter. An beiden Händen kann ich nicht mehr abzählen, wie oft das passiert ist. Mittlerweile lasse ich es nicht mehr vom Arzt behandeln, denn der kümmert sich nur um die Symptome. Die Ursache kann nur ich bekämpfen.
Dass es mir im Innersten nicht gut ging, ist etwas, was man mir in erster Linie auf der Stirn nicht ansehen konnte.
Aber ich denke, ihr versteht ganz genau, was ich meine. Ähnliche Symptome und auch ausgeprägtere sehe ich des Öfteren um mich herum. Verstehen tue ich es gut, weil ich es auch spüre.
Wie sagt man es so schön: Wir haben nur ein Leben und du bist ganz allein dafür verantwortlich, dass es auch lebenswert ist.
Es war Zeit, etwas zu ändern.
Ich habe versucht, mich mehr zu spüren und auf Situationen zu achten, wo ich mich wohl und entspannt fühle und auch auf solche zu achten, wo genau das Gegenteil passiert.
Dann habe ich alles hinterfragt und analysiert und einiges über mich selbst gelernt.
Wenn ich unter vielen Menschen bin, fühle ich mich oft unruhig und gestresst. Jedoch wenn ich mich weiter von der Masse entferne, erlischt das Gefühl.
Das sind Schwingungen, die nicht meine sind … die aber auf mich einprasseln und mit in den Sog ziehen. Jeder trägt sein Päckchen mit sich, so sagt man doch. Und wir strahlen auch sehr viel davon aus, auch wenn ein Lächeln es überspielen soll. Mein Rücken war zu der Zeit vollgepackt mit eigenen Sorgen, dass ich einfach nicht mehr tragen konnte.
Auf verlassenen Wanderwegen konnte ich dieses Phänomen auch des Öfteren beobachten. Das waren die entspanntesten Phasen überhaupt. Wenn es dann aber wieder in die Ortschaft hinein ging, kam das Unwohlsein zurück.
Meine Feststellung: Die Natur erdet mich und gibt mir die Gelassenheit, nach der ich mich sehne. Zu viel Trubel und zu viele Menschen um mich herum irritieren mein Empfinden und tun mir als Dauerbeschallung nicht gut.
So begannen wir auch mit der ersten Testphase.
Wir sind 2020 in eine fremde Ortschaft aufs Land gezogen. Das Haus ist sehr individuell, ein uraltes Fachwerkhaus, mit zwei Holzöfen zum Heizen, schräge Boden und Wänden. Weit weg von perfekt, aber genau das, was wir gerade gebraucht haben.
Wir waren bereit, bewusst unseren Alltag zu ändern, um unser Ziel im Leben genau zu definieren und explizit den Weg zu planen.
So sah es dann aus: Wir buddelten unseren Garten um und pflanzten unser erstes Gemüse an. Mein Mann baute unsere Garderobe selbst, sowie eine Schrankerweiterung für die Küche.
Ein Hochbeet folgt. Dies baute er aus selbst gefällten Baumstämmen im Stiele eines Blockhauses. Nicht perfekt, aber richtig cool und einzigartig.
Einen Kettensägenschein machte er noch vor dem Umzug aufs Land, damit wir zeitnah Holzreserven anlegen konnten, für den kommenden Winter.
Darüber habe ich mir in meinem Leben noch nie Gedanken gemacht! Für den Winter vorsorgen? In einer Gesellschaft, in der alles im Überfluss vorhanden ist? Das war ein Umdenkprozess.
Unsere erste Ernte war ein Erlebnis. Ich habe so etwas noch nie gemacht und musste mir einiges an Wissen aneignen, etwas, was unsere Vorfahren konnten, wir aber mit den Generationen nicht erfahren durften.
Mir war gar nicht klar, wie gut Gemüse schmecken kann. Kein Wunder, dass viele Kinder und Erwachsene keine Gemüseliebhaber sind. Welches im Supermarkt zu kaufen ist, hat durch Überzüchtung oder sonstige Verfahren jeglichen Geschmack und Inhaltsstoffe verloren. Das habe ich erst verstanden, als ich es geschmeckt habe. So einfache Dinge haben in mir Glücksgefühle ausgelöst. Ich war auf dem richtigen Weg.
Und was hat unsere Generation auch nicht lernen dürfen? So einiges.
Ich habe mit Brotbacken begonnen. Das war eine Tortur, denn mit Hefeteig und Sauerteig konnte ich vorher nicht umgehen. Torten, allerlei Gebäck und süße Leckereien konnte ich schon vorher zaubern. Wenn man jedoch ein Kleinkind hat und will, dass so wenig wie möglich Industriezucker, Konservierungsstoffe und Geschmacksverstärker ins Essen kommt, muss man sein Back- und Kochverhalten ändern. Mittlerweile gelingt mir das Brot richtig gut und wir kaufen schon lange keines mehr.
Fertiggerichte wurden auf ein Minimum reduziert.
Einkochen habe ich auch gelernt. Erst einfache Gemüsesorten, dann Gerichte und Fleisch. Es hat nicht immer geklappt oder geschmeckt. Aber die Basis habe ich verstanden und mich mit hübschen Weck-Gläsern eingedeckt. Sehr zeitaufwendig ist das Ganze schon, wiederum habe ich kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich mal nicht koche und es ein Gericht aus dem Glas gibt. Ich weiß genau, was da drin ist.
Seit einem Jahr haben wir auch vier Rassehühner, die uns täglich mit Eiern versorgen. Das Hühnerhaus ist ein kleines massives Blockhaus geworden. Es sind drei unterschiedliche Rassen, die jeweils unterschiedlich farbige Eier legen: weiß, braun und türkis. Wir waren so stolz, als unser Araukaner-Huhn das erste türkisfarbene Ei gelegt hat. Ich habe direkt Fotos an die Familie geschickt.
Die Hühner haben uns zu Beginn auf Trab gehalten, weil sie ständig ausgebüxt sind. Lustig, wenn man zurückblickt. „Schon wieder ist ein Huhn zu den Nachbarn geflogen!“
Unser Ziel wurde immer klarer. Wir wollen eigenes Land, mehrere Hektar. Hier führt unser Weg hin. Das tut uns gut. Und die Arbeit lohnt sich.
Mehr im nächsten Blog …
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