Kurz nach unserer Ankunft in Uruguay begann auch der Behördenmarathon. Die Bürokratie in Deutschland war abgeschlossen, jetzt ging es hier los. Durch unseren Einwanderungshelfer lief es überwiegend flüssig ab. Bereits Monate im Voraus hatte er Termine für uns bei den zuständigen Ämtern organisiert. So war es, dass wir eigentlich nur mit ihm und den Originalunterlagen erscheinen mussten.
Wir haben ohnehin nur Spanisch verstanden und konnten selbst nicht viel ausrichten. Nicht ohne Grund haben wir uns Hilfe genommen. Ich hätte echt keine Ahnung gehabt, wo ich was beantragen sollte. Also hieß es für mich, Hände auf den Rücken und mitlaufen. Gelohnt hat es sich allemal, denn bereits nach einigen Tagen hatten wir eine Aufenthaltsgenehmigung für die nächsten zwei Jahre erhalten. Die Bearbeitung der permanenten Aufenthaltsgenehmigung dauert um einiges länger und erfordert mehr Nachweise. Die werden wir, so Gott es will, nächstes Jahr in unseren Händen halten.
Eigentlich war es gar nicht schlecht, so kurz nach unserer Ankunft unterschiedliche Städte zu besuchen, mal mit dem Auto und mal mit dem Bus. Zwar waren es Behördengänge, aber auf die entspannte Art. Es hat sich herausgestellt, dass Busfahren mit unseren Kids ganz entspannt ist, primär die Routen mit dem Reisebus. Unterwegs gibt es viel zu sehen, die Sitze sind groß und bequem, auch die Preise sind in Ordnung. Es gibt diverse Linien mit großen Reisebussen und auch herkömmliche Linienbusse sowie Schulbusse. Aber bei den Linienbussen mal herauszufinden, wo, wann, welcher Bus, in welche Richtung fährt, war mir ein Rätsel. Für dir Reisebuslinien kann man problemlos am Bahnhof ein Ticket kaufen.
So begann ich einfach zu beobachten. An den Bushaltestellen stehen leider keine Pläne oder Hinweisschilder. Ich habe mir einfach den Namen der Busgesellschaft notiert und auch die Liniennummer. Online ging die Recherche dann weiter. Und tatsächlich bin ich auf Informationen gestoßen, ungünstigerweise nicht so schön programmiert wie auf deutschen Websites. Alles ganz simpel. So simpel, dass nicht eindeutig jede Haltestelle angezeigt wird, und auch nicht die detaillierten Abfahrtszeiten je Haltestelle. Alles so Pi mal Daumen; von der einen Ortschaft zur Nächsten.
Mittlerweile verstehe ich auch, warum nicht alles bis ins kleinste Detail geplant ist. Die Menschen hier sind nicht so durchorganisiert bis in den letzten Winkel und die Dinge, die funktionieren, die funktionieren eben. Warum sollte daran etwas geändert werden?
Ich habe den Eindruck, dass die Uruguayos nicht alles für die nächsten fünf Jahre im Voraus geplant haben, sondern mehr in den Tag hineinleben und vieles auf sich zukommen lassen. Das gibt dem Leben einen Spielraum, damit auch Ereignisse geschehen können, die nicht vorhersehbar sind, die dem Leben herrliche Süße verleihen. Vielleicht ist die Bevölkerung hier auch nicht auf Perfektion getrimmt und ist genügsamer?
Was es genau ist, kann ich nur vermuten. Für mich war es im ersten Moment ein Kulturschock, denn scheinbar musste ich einiges von null auf neu lernen. So wie das Busfahren. XD
Wir beschlossen, einen Ausflug nach Punta del Este zu machen und den Linienbus, der bei uns in der Nähe abfährt, zu nehmen. Dieser sollte vom Fischhändler bei uns in Punta Fria direkt zum Busbahnhof bis nach Punta del Este fahren.
Dann stehen wir nun beim Fischhändler und ich war ein wenig ratlos, weil dort kein Schild oder Bushäuschen steht. Nur auf der anderen Straßenseite war ein Bushäuschen. Doch wir mussten eindeutig in die andere Richtung. Hmm … dann frage ich mal drauflos, mithilfe meiner Spanisch-App.
Die junge Frau bestätigte mir, dass der Bus hier hält. Wir müssen ihn nur herauswinken, wenn er in unsere Richtung kommt. Aha, herauswinken! Das war mir neu.
Scheinbar habe ich sie so irritiert angeschaut, dass sie dachte, ich hätte sie nicht verstanden. Also kam sie einen Moment später zu mir rüber und erklärte es mir erneut, dieses Mal auf Englisch und auch dass der Bus noch etwas länger benötigen wird, da er gerade erst aus der anderen Richtung kam.
Da wurde mir warm ums Herz. Sie hat sich um uns gesorgt. Das machte mich sprachlos.
Busfahren hat sich zu einem Catwalk für solche Momente entwickelt. Hast du jemals den Busfahrer begrüßt, als du eingestiegen bist und dich für die Fahrt bedankt, als du ausgestiegen bist? So viel Menschlichkeit und gegenseitiges Helfen habe ich selten erlebt.
Doch diese Strecke mit dem Linienbus ist auf eine Art wunderschön, doch auch schaurig, gerade wenn es dunkel ist. Sie ist schön, weil sie ein gutes Stück am Strand entlang führt und die Aussicht so unfassbar herrlich ist. Andererseits ist die Straße häufig voller Sand, da außen herum Sandhügel sind. Wer glaubt, dass dort vorsichtiger und langsamer gefahren wird, täuscht sich. Wenn es dunkel ist, sieht man auf diesem Abschnitt nur die Scheinwerfer des Fahrzeugs und nicht selten dachte ich, dass wir gleich in den Ozean plumpsen. Die Kids finden es klasse. Dieses Auf, Ab und das Ruckeln. Ohne Festhalten fliegst du durch den Bus.
Bei unserer ersten Fahrt habe ich vergeblich den Knopf gesucht, um zu signalisieren, dass wir an der nächsten Haltestelle aussteigen wollen. Den gibt es nur am hinteren Ausstieg. Dann hält der Fahrer auch einfach an der kommenden Haltestelle. Die meisten jedoch gehen einfach nach vorn zu dem Fahrer und sagen ihm, wo er sie hinauslassen soll.
So kamen wir ruckelig unserem Zielpunkt näher und gingen zum Fahrer, um vorne auszusteigen. Ich war natürlich vollkommen perplex, als er mich fragte, wo wir aussteigen wollen. Ich starrte ihn an wie ein erschrockenes Reh und dachte nur: „An der nächsten Haltestelle natürlich! Aber wie sag’ ich das auf Spanisch?“ Dann fiel der Groschen auch bei mir und ich sagte einfach „Hier!“ Er bremste, schaute uns schräg an, aber wünschte uns noch einen schönen Abend.
Ich prustete vor Lachen, als wir draußen waren. Mein Kopf sah bestimmt aus wie eine überreife Erdbeere.
Das war eine lehrreiche Fahrt. Weiter oben sprach ich von einem Catwalk an Ereignissen, von denen möchte ich euch natürlich auch noch erzählen. Die können sich sehen lassen.
Ein anderes Mal sind wir abends mit demselben Bus nach Hause gefahren und der Fahrer ist eine etwas andere Route gefahren. Er sprach dabei mit einer Frau, die neben ihm stand. Es war bereits dunkel und er signalisierte einem Jungen an der Straße mit der Lichthupe, dass er ihn gesehen hat und anhält.
Kaum zu fassen! Die Frau hatte den Busfahrer gebeten, ihren Sohn abzuholen. Er war vielleicht elf Jahre. Und ohne Murren hat er ihn an der Ecke abgeholt und fuhr seine Strecke weiter. Das scheint komplett normal zu sein.
Als ich noch zur Schule ging, bin ich täglich mit dem Bus gefahren, auch nach der Schule, um Freunde zu besuchen. Ich weiß noch, wie oft ich gerannt bin und die Türen sich vor meiner Nase schlossen. Häufig habe ich mich darüber geärgert. Ja, sicher müssen die Busse ihre Zeitpläne einhalten, aber auf Kosten der Menschlichkeit? Nimmt es wirklich so viel Zeit in Anspruch, ein weiteres Mal zu bremsen, um jemanden hineinzulassen.
Die Uruguayos sparen dafür Zeit, indem sie nicht den Bus absinken lassen, für den bequemen Ein- und Ausstieg. Oder bereits losfahren, noch ehe die Türen verschlossen sind.
Überall an der Strecke hält der Bus an, wenn er herausgewinkt wird, egal, ob dort eine Haltestelle ist oder nicht. Im Dunkeln macht man ein Lichtsignal mit dem Handy, damit man gesehen wird. Winkt keiner an der Haltestelle, fahrt der Bus einfach weiter, auch, wenn jemand am Bushäuschen steht.
Das wussten wir nicht. Zum Glück bekamen wir auch hier Hilfe. Ein anderer Mann wartete mit uns an der Haltestelle und sprach uns direkt an, wo wir herkommen und auf welchen Bus wir warten. Er berichtete stolz, dass er Freunde in Deutschland hat. Einige Momente später stieg er in seinen Bus. Doch bevor er das tat, sprach er eine Frau an, die gerade zur Haltestelle kam und verabschiedete sich von uns allen.
Wir unterhielten uns nicht mit der Frau, nur ein kurzes Hallo. Als unser Bus entgegenkam, stellte sie sich an den Straßenrand und winkte den Bus raus, doch sie selbst stieg nicht ein. Sie hat das nur für uns gemacht! Der Mann zuvor hatte sie scheinbar darum gebeten und ihr die Busnummer genannt. Und wieder war ich perplex und fühlte so viel Liebe in meinem Herzen.
Wenn wir doch alle so miteinander umgehen würden, wäre die Welt viel bunter und strahlender. Wir entscheiden uns dafür, gut zu sein und Liebe zu schenken. Dann lasst es und doch tun, immer, jeden Tag. Nicht nur an Geburtstagen und Weihnachten. Es sind diese kleinen Gesten, die einen Unterschied machen. Denke an die Menschen in deinem Umfeld, sei hilfsbereit und freundlich … so wie die Menschen auf unseren Busfahrten.
Mehr von meinem Leben in Uruguay im nächsten Artikel …
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